HOME OF ROCK – “Before my eyes” Review -
Written by: Fred Schnidtlein - Home of rock
Italien. Wieder. Immer wieder Italien. Es ist unzweideutig kein Zufall mehr, dieses Land enteilt dem Rest Europas, wenigstens in rockmusikalischer Hinsicht.
In Germania possibile manchare la terra, sprach Gerhard Polt, das größte bayrische Sprachgenie seit Karl Valentin. Doch welcher Rocker will vom Boden essen, wenn er all diese Musiker und Bands mitsamt würzigem Rock & Roll als Carpaccio auf dem Silbertablett geliefert bekommt.
Immerhin, dieses Mal ist es wenigstens kein stürmisches Jungspundkollektiv, sondern ein gut abgehangener Sänger, der uns mehr als verblüfft. J.C. Cinel ist im Hauptberuf Frontmann der großartigen Retro-Rocker WICKED MINDS und legt mit "Before My Eyes" sein zweites Solo-Album vor. Ein schönes, aber das liegt eigentlich qua Vita auf der Hand.
Giuseppe, wie J.C. für seinen Bäcker um die Ecke heißt, macht einen beliebten Fehler bei Soloalben nicht: Er packt nicht die von seiner Stammband mangels Qualität abgelehnte Ausschussware auf seine CD, er geht einen ganz anderen Weg, nämlich westwärts an die Küste, womit natürlich nicht die ligurische Adriaküste, sondern die am Pazifik gemeint ist. Wer nun reflexartig an ein gewisses Hotel in Kalifornien und Bands wie die DOOBIE BROTHERS denkt, bitte, die Fährte ist damit aufgenommen.
"Before My Eyes" besteht aus zwei Teilen. Auf der einen Seite die wunderschönen Sunshine-Balladen mit temporären Wurzeln im Country, wie sie vor Dekaden von eben den gemeinten und längst mumifizierten EAGLES perfektioniert wurden, auf der anderen der knackige Sunshine-Rock'n'Roll, wie ihn vermeintlich auch nur Typen wie Joe Walsh und Kollegen zustande brachten. Eigentlich fehlt nur noch ein Duett mit Linda Ronstadt, You're No Good oder It's So Easy würden beispielsweise passen, und die Sonne würde gar nicht mehr aufhören zu scheinen. Frau R. würde sich aber sicher auch klaglos in den Chor für Highway-Cruiser wie What I See einreihen.
Wer sich von "Before My Eyes" nicht infizieren lassen will, sollte eine starke Sonnenbrille aufsetzen und maximalen Lichtschutzfaktor auftragen, ansonsten wird man unweigerlich mitsingen, mit den Fingern schnippen und beschwingt mit dem Kopf wackeln.
Cinel ist ein phantastischer Sänger, man darf aber auch die Band um ihn herum nicht vergessen. Allen voran die Gitarristen Davide Dabusti und Marcello Minari, die bei den feist rockenden Titeln alle Register einschlägiger Riff-Solo-Rhythm-Tradition in ein- und zweistimmiger Version ziehen und bei den ruhigeren Songs dezente bis wunderschöne Akzente setzen, was sogar die beinahe etwas arg süßlichen Nummern wie Dear Old Friend und den Titelsong über den Durchschnitt hebt. Gleich anschließend kommt die durchgehend drückende Bass-Arbeit und die hervorragende Schlagzeug- und Percussion-Untermalung. Für Hammond, Moog und Piano sorgt WICKED MINDS-Kollege "Apollo" Negri in seiner gewohnt nonchalant-souveränen Manier. Schlussendlich müssen die hervorragenden Gesangsarrangements erwähnt werden. Da wird auch mal vierstimmig jubiliert, was ganz automatisch zu Gänsehaut führt.
Alle Hände hoch und mit den Füßen gestampft zum herrlichen What I See, die Feuerzeuge und das Batik-Tanzhemdchen an zu Voices From Nowhere [hähähä, ist diese deutsche Sprache nicht wundervoll - wir zünden und ziehen Feuer und Hemd gleichzeitig an], entrücktes Lauschen zum abschließenden Taking Chances, danach neu starten und zu Feel The Moment rocken.